Interview:"Mobilität im Ruhrgebiet muss neu gedacht werden"

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Als Mobilitätsexperte spricht Dr. Sven Rutkowsky über internationale Infrastrukturlösungen des Beratungsunternehmens A.T. Kearney - und wie sich diese in das Ruhrgebiet integrieren lassen könnten.

Interview

Dr. Sven Rutkowsky, Interviewpartner

Dr. Sven Rutkowsky

Partner und Geschäftsführer

Das Beratungsunternehmen Kearney ist spezialisiert auf Transformationen in vielen Branchen und öffentlichen Bereichen. Dazu zählt auch der Bereich Mobilität, in dem es um alles geht, was Menschen und Güter fortbewegt. Mit Dr. Sven Rutkowsky, Partner und Geschäftsführer bei Kearney sowie persönlichem Mitglied im Initiativkreis Ruhr, haben wir über die Zukunft der Mobilität gesprochen. Als Experte erklärt er den historischen Hintergrund für Hürden, sich schnell quer durch die Ruhrregion zu bewegen, und wie Madrid eine Blaupause für das Ruhrgebiet sein könnte.

A.T. Kearney berät Unternehmen und Institutionen aus der Mobilitätsbranche – warum wird das Thema immer wichtiger?

Kearney ist ein globales Beratungsunternehmen. Transport und Verkehr findet sehr regional statt, aber auch sehr global. Wir waren die erste globale Beratung, die in diesem Feld vor knapp 80 Jahren aktiv wurde und vor circa 60 Jahren eine eigene Practice dafür gründete – für Personenverkehr wie auch für Güterverkehr. Wir arbeiten hier mit großen Mobilitätsanbietern wie Fluglinien und Reedereien, Flughäfen und Häfen, Spediteuren sowie Bahnen und ÖPNV-Unternehmen zusammen oder entwickeln für Ministerien oder Städte nationale und regionale Strategien. Gleichzeitig sind auch große Infrastrukturentwickler, Fahrzeugvermieter oder -hersteller unsere Kunden. An vielen Stellen bringen wir im Rahmen unserer Projekte öffentliche und private Akteure zusammen.

Wenn wir über Personenmobilität sprechen, haben sich vier Dinge unserer Ansicht nach verschoben: Die Akzeptanz in der Bevölkerung, weitere Wege zur Arbeit in Kauf zu nehmen, ist gestiegen, bedingt durch höhere Wohnkosten, mehr Jobwechsel und flexiblere Arbeitszeiten in Kombination mit Homeoffice-Tagen. Somit ist bezahlbare und komfortable Mobilität heute ein noch wichtigerer Standortfaktor im nationalen und globalen Wettbewerb um Steuerzahler und Arbeitskräfte. Zweitens gibt es in der Mobilität heute mehr Freizeitanteile sowohl im Nah- wie auch im Fernreisebereich. Drittens: Global betrachtet wird mit der Verstädterung urbaner Raum immer knapper. Dies macht in den Städten das Konzept des Privatautos zunehmend obsolet, wenn es meist herumsteht und, wenn es fährt, viel Straßenraum einnimmt und Energie verbraucht für wenig Personen (im Mittel nur 1,2), solange wir PKW nicht systematisch bei Fahrten teilen. Und viertens beansprucht die Logistik durch kleinere Sendungen und e-Commerce mehr Raum.

Sie sind vor 30 Jahren aus Berlin ins Ruhrgebiet gezogen. Wenn man die Mobilitätskonzepte beider Regionen direkt vergleicht – was kann das Ruhrgebiet von Berlin lernen (und vielleicht auch andersherum)?

Als ich zu meiner Frau vor mehr als 25 Jahren von Berlin nach Dortmund zog, war ich überrascht, dass man auf vier verschiedenen Autobahnen die 70 Kilometer ins Büro nach Düsseldorf fahren kann. Das ist wohl einmalig. Dann merkte ich schnell, dass die Alternativen oft wegen unvorhersehbarer Staus auch wichtig waren und dass die Bahn meistens eine zeitlich sehr gute Alternative darstellt.

Berlin hat mit der BVG im Unterschied zum Ruhrgebiet mit seinen 33 Verkehrsunternehmen einen großen Anbieter, der gemeinsam mit der von der DB betriebenen S-Bahn den ÖPNV dominiert. Berlin ist früh einen klaren Weg des Verkehrsvertrages zwischen der Stadt und dem Betreiber gegangen, in dem klare Ziele für den Betrieb und den Ausbau sowie die Leistungsvergütung jenseits der Fahrkarteneinnahmen festgelegt wurde und der von einem unabhängigen Dienstleister überwacht wurde. Dies ist im Ruhr-Raum heute noch anders.

Vor allem hatte man in Berlin im Zuge der Wiedervereinigung die Chance, den Verkehr einmal grundsätzlich übergreifend über die Region neu zu denken. Das tut im Abstand von ein oder zwei Dekaden jeder Verkehrsregion gut. In West-Berlin hatte man zum Beispiel Mitte der 60er Jahre die Straßenbahn abgeschafft, um dem PKW-Verkehr mehr Platz zu schaffen. Mit der Maueröffnung wurde die Gelegenheit genutzt, Linien des Ostberliner-Systems in den ehemaligen Westen zu verlängern. Die S-Bahn wurde übrigens im ehemaligen Westberlin von der Ostdeutschen Reichsbahn betrieben, was in vieler Hinsicht damals sehr merkwürdig war. Im Ruhrgebiet wird auch heute das Gesamtnetz von Bussen und Bahnen nicht integriert geplant.

Was die BVG auch geschafft hat: Alle Mobilitätsangebote der Stadt in einer App („Jelbi“) zu bündeln. Region-Bahnen, S-Bahn, U-Bahnen, Straßenbahn, Busse, Sammeltaxi Scooter, Car-Sharing und so weiter. Das ist ein Angebot, welches ich mir flächendeckend und einheitlich auch für das Ruhrgebiet wünsche. Es ist aus meiner Sicht klar, dass die Beschränkung des VRR als einzigem wirklich regionsübergreifenden Akteur des Personenverkehrs auf den Schienenverkehr keine ausreichende Aufstellung für das Ruhrgebiet ist.

Ein historischer Faktor ist: Das Ruhrgebiet ist eine Industrieregion und Berlin ist weitgehend deindustrialisiert. Transport von Gütern zu und von den Unternehmen spielte im Ruhrgebiet immer schon eine wichtige Rolle. Die großen Industrieunternehmen haben den ruhrgebietsübergreifenden Personenverkehr traditionell gar nicht gefördert, denn sie wollten einen lohnsteigernden Wettbewerb um mobile Arbeiter eher behindern. Hier kamen zum Beispiel die unterschiedlichen Spurbreiten der Straßenbahnen in der Ruhr-Region gelegen. Damit kämpfen wir heute noch 100 Jahre später.

Dr. Sven Rutkowsky im Interview
Allein im nationalen Vergleich zeigt sich, dass ein Umdenken für eine verbesserte Mobilität des Ruhrgebiets notwendig ist. Aber wie lässt sich dies für unsere Region umsetzen? Dr. Sven Rutkowsky spricht über Lösungsansätze.

Deutschland war lange Zeit eines der globalen Vorbilder für andere Länder, im Hinblick auf den Mobilitätssektor. Wo stehen wir im internationalen Vergleich heute?

Deutschland war sowohl mit dem ÖPNV in den Städten wie auch im Bahnfernverkehr und im Thema Marktderegulierung und Wettbewerb lange Vorreiter und auch Vorbild in Europa und global. Ich habe das selbst in meinen zehn Jahren Beratungstätigkeit im Mittleren Osten erlebt. Diese Vorbildfunktion haben wir ein Stück weit verloren, was sicherlich auch mit der Performance der Deutschen Bahn (DB) zu tun hat. Auch wenn sie uns nicht in allem überholt haben, so haben in Europa Österreich und die Schweiz in einiger Hinsicht die Nase vorn und innerhalb Europas einige Städte wie London, Paris, Barcelona große Entwicklungssprünge gemacht, mit zum Teil innovativen Konzepten. Global wird mehr auf Japan, Singapur und zum Teil auch China geschaut.

Unser globaler 'Kearney City Index' zeichnet ein ähnliches Bild. Er bildet ab, inwieweit Städte in der Lage sind, globale Kapital-, Menschen- und Ideenströme anzuziehen, zu halten und zu generieren. Auch bei anderen bekannten Mobility Indices liegen deutsche Städte nicht mehr im Spitzenfeld. Hier führen Städte wie Helsinki, Amsterdam, Stockholm, San Francisco, Singapur oder Zürich.

Was müsste sich verändern, um international wieder einen Spitzenplatz einzunehmen?

Wir managen das Thema Mobilität auf allen politischen Ebenen nicht effizient. Das beginnt mit den viel zu großen Zentralfunktionen oberhalb der operativen Bereiche der DB, setzt sich mit den 27 Regionalbahnaufgabenträgern und mit ca. 400 kommunalen Organisatoren von Nahverkehr fort, in denen fast immer alle Funktionen wie Einkauf, Planung, Vertrieb und Betrieb vorhanden sind. Wir müssen die Strukturen effizienter gestalten und mit guten Ressourcen ausstatten, um dann mehr privaten Wettbewerb auf der Ebene von Planung, Vertrieb, Betrieb, Bau, Fahrzeugfinanzierung und Instandhaltung sowie die Integration aller Transportarten besser zu managen. Dies wird umso dringlicher, wenn wir klimaneutral werden wollen, also deutlich mehr Menschen in komfortable und schnelle Verbindungen über mehrere Transportarten statt im eigenen PKW befördern wollen, ohne dass die dafür bereitzustellenden öffentlichen Mittel dramatisch ansteigen.

Auch werden Personen- und Güterverkehr noch zu selten zusammengedacht. Dazu gehört auch eine solide Datenbasis, die in NRW zumindest im Aufbau ist. In unseren Gesprächen mit dem Ministerium merken wir aber, dass wir bei dem Thema eines integrierten 'digitalen Zwillings' für die Ruhr-Region noch am Anfang stehen.

Nach dem Schritt Deutschlandticket fehlt eine langfristige Finanzplanung für die Mobilität inklusive der Diskussion, was wir uns leisten wollen und wie teuer öffentliche und der private PKW-Verkehr in verschiedenen Regionalstrukturen werden darf. Es gibt auch nach der derzeitigen Bahnreform keine langfristige Schieneninfrastrukturfinanzierung wie in Österreich oder der Schweiz. Und es gibt auch keine durchgängige Finanzierungskonzeption für die Dekarbonisierung des ÖPNV auf der Straße.

In Deutschland denken wir anders darüber, was von der öffentlichen Hand und was von der Privatwirtschaft betrieben und finanziert wird. In Frankreich ist der Betrieb des ÖPNV seit Napoleon III Aufgabe von Privatunternehmen, während die öffentliche Hand die Anlagen und die Fahrzeuge finanziert. Dort werden integrierte Mobilitätskonzepte für ganze Verkehrsregionen ausgeschrieben. In Spanien geht man offener mit privater Finanzierung von Infrastruktur um. In Deutschland gibt es hohe Skepsis gegenüber privatem Engagement und Private-Public-Partnerships (PPP) nach dem Motto: lieber öffentliche Ineffizienz bezahlen statt private Margen und höhere Zinskosten. Dabei ist privates Kapital für die Finanzierung von Mobilität und ihrer Infrastruktur global keine Mangelware.

Welche Themen sind vordinglich für eine attraktive Mobilität in der Rhein-Ruhr-Region?

Wenn wir wollen, dass die Mehrheit der Menschen ihr privates Auto beim Pendeln stehen lassen und eventuell gar nicht mehr benötigen, muss Mobilität und insbesondere das Pendeln zur Arbeit komfortabel sein in jeder Hinsicht, d.h. einfach erreichbar, schnell (z.B. nie mehr als 50% langsamer als mit dem nur selbst genutzten PKW), sicher, sauber, gute Kommunikationsintegration. Man könnte zum Beispiel nicht reaktivierbare Bahntrassen nicht nur für Fahrradwege, sondern für kleine autonome elektrische Minibusse nutzen. Ride-Sharing für den gesamten Weg oder vom/zum Bahnhof muss einen anderen Stellenwert bekommen; dazu gehören gute Apps, sinnvolle Finanzierungsmodelle und eine entsprechende Regulierung. Idealerweise bekommen wir den Durchbruch dafür hin, bevor die Fahrzeuge volle Autonomie (Level 5) erreicht haben. Wir dürfen Ride-Sharing nicht als bösen Wettbewerb für den ÖPNV denken, sondern als perfekten Zubringer und als Ergänzung.

Aber auch für die viel grundlegendere Frage, wie wir deutlich mehr Menschen auf die Schiene bekommen, ohne dass es große Möglichkeiten gibt, neue Schienen zu verlegen, und ohne dass die Digitalisierung mit engerer Zugtaktung den Engpass auflöst, müssen wir noch beantworten. Wo wird es dann eng auf den Plattformen der Bahnhöfe, bei den Durchgängen, bei den Vorplätzen mit der Anbindung an die andere Transportmittel? Und vor allem: Wie wollen wir das finanzieren?

Ein Beispiel aus dem Güterverkehr: Warum entwickeln wir kein optimales neutrales Paketboxen-Netzwerk für die gesamte Ruhr-Region und machen dann einen Wettbewerb für Errichtung und Betrieb der Standorte? Für einige werden positive Konzessionspreise gezahlt, mit denen man die negativen Standorte vergüten kann. 99 Prozent der Einwohner erreichen eine neutrale Box in 500 Metern Entfernung, bei der Auslieferung wird ca. 1 Euro an Kosten und viel Lieferverkehr im Vergleich zur Haustür eingespart und wir haben mehr Wettbewerb, als wenn nur ein Dienstleister und ein Händler selektiv proprietäre Systeme aufstellen.

Kearney hat das „Center for Advanced Mobility“ (CAM) gegründet, was passiert dort?

Wir haben in den vergangenen Jahren gemerkt, dass wir unsere eigenen Kräfte rund um Mobilität noch mehr bündeln müssen, die bisher in Teams für Automotive, Transportation, Infrastructure, Digital verteilt waren. Deshalb haben wir das 'Kearney Center for Advanced Mobility' gegründet, das von Dubai aus koordiniert wird und in dem wir global auch neue Spezialisten, etwa für autonomes Fahren in allen Modi Schiene, Straße, Wasser und Luft, einstellen.

Zum Beispiel ist es denkbar, dass wir beim autonomen Fahren eine erste Welle dort sehen werden, wo keine Passagiere befördert werden, also z.B. im Güterverkehr, beim Rangieren und der Repositionierung von Fahrzeugen zum nächsten Einsatzort oder zur Werkstatt etc., während Personal am Bildschirm diese Vorgänge für mehrere Fahrzeuge überwacht. Dass wir in Europa beim autonomen Fahren auf der Schiene nicht viel weiter sind, ist im Grunde ein jahrzehntelanges großes politisches und regulatives Versagen.

Eine weitere spannende Frage ist beispielsweise, ob die Unsicherheit bezüglich der Restwerte und der technischen Entwicklung von Batterien und die Notwendigkeit, diese zu annähernd 100% zu recyceln und ggf. vor dem recyceln noch jenseits des Verkehrs noch für andere Anwendungen zu nutzen, zu einer deutlichen Beschleunigung der Umstellung von Kauf zur Miete bzw. Leasing von Fahrzeugen oder zumindest von Batterien auch im privaten Bereich führen wird und was dies für alle Akteure bedeutet.

Da Kearney darauf spezialisiert ist, unsere Klienten bei großen strategischen Entscheidungen und deren Umsetzung im Unternehmen und mit Partnern zu unterstützen, geht es mit dem CAM darum, dass wir vordenken und uns intern und mit wichtigen Akteuren zu diesen Themen im Markt vernetzen.

Dass wir in Europa beim autonomen Fahren auf der Schiene nicht viel weiter sind, ist im Grunde ein jahrzehntelanges großes politisches und regulatives Versagen.

Dr. Sven Rutkowsky – Partner und Geschäftsführer von Kearney

Kearney hat mit der Stadt Madrid erfolgreich ein Ökosystem aufgebaut, das die Mobilität der Zukunft für die Region gemeinsam entwickelt. Können Sie uns erzählen, wie dieses Konzept aussieht? Ließe es sich auf die Region Rhein-Ruhr übertragen?

In Madrid haben wir gemeinsam mit der Stadt, den Verkehrsbetrieben und über 30 Industrieunternehmen das 'Madrid Green Urban Mobility Lab' ins Leben gerufen, um alle Akteure für eine neue Form der integrierten strategischen Stadtplanung an einen Tisch zu bringen. Unter diesem Dach finanzieren jeweils ausgewählte Mitglieder einzelne Projekte, wie die Optimierung von Parkflächen für die Paketverteilung oder die Tieferlegung großer Verkehrsachsen. Wir planen Mobility Hubs, in denen man nicht nur Räder, Scooter oder Autos leihen kann, sondern auch seine Pakete abholt und später mit dem Flugtaxi Richtung Krankenhaus oder Flughafen startet.

Aus unserer Sicht ist ein Modell wie in Madrid auch ein Vorbild für große Städte und Regionen in Deutschland. Gerade in der Rhein-Ruhr-Region würden sich durch eine vergleichbare Initiative, die vor allem mehr Tatkraft und Kreativität der zahlreichen relevanten Wirtschaftsakteure stärker für Planung und Umsetzung nutzt, viele Vorteile ergeben. ACS ist beispielsweise als weltweiter Entwickler von Infrastruktur in Madrid im Projekt wesentlich beteiligt und mit HOCHTIEF in Essen auch im Ruhrgebiet bestens vertreten, um sich gemeinsam mit anderen einzubringen.

Wir sollten die besten Köpfe aus Politik, Verbänden und anderen Institutionen, aus der Wissenschaft und der Wirtschaft quer durch alle Branchen besser zu Mobilität vernetzen. Das Ruhrgebiet mit seiner tollen Wissenschaftslandschaft und als größer Ballungsraum des Landes ist dafür prädestiniert, aber die Koordination vielleicht noch komplexer als Madrid, insbesondere angesichts der dezentralen Struktur unserer kommunalen Verkehrsbetriebe.

Das Projekt in Madrid ist sehr gut angelaufen mit echtem Mehrwert für die politischen Entscheider und die Bürger und kann sicherlich ein Impulsgeber für die Rhein-Ruhr-Region sein. Der Frage, wie ein ähnliches Modell aussehen könnte, sollte man aktiv nachgehen.

Wie hat sich das Mobilitätsverhalten Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch Ihr persönliches verändert?

Vor zehn Jahren hatten 90 Prozent unserer Berater ein geleastes Fahrzeug, heute gibt es alternativ ein Mobilitätspaket, das inzwischen von rund der Hälfte der Beraterinnen und Berater gewählt wird. Auch gibt es Förderung des Unternehmens für die eBike-Miete. Die Leasingfahrzeuge stellen wir bis 2030 sukzessive auf Elektroantriebe um, mit Anreizen für die Mitarbeitenden, das früher zu tun. Ich persönlich stelle gerade um. Der Anteil reiner Elektrofahrzeuge an unserer Flotte liegt aktuell aber erst bei 10 Prozent.

Aber unser größter Teil des CO2-Fußabdrucks entsteht durch Flugreisen. Die Reisetätigkeit in Flugmeilen pro Berater ist seit 2019 um circa 52 Prozent gesunken und durch Online-Meetings ersetzt worden. In absoluten Zahlen ist es uns über alle Transportmodi gelungen, trotz Wachstum des Unternehmens bereits zwei Drittel der gesamten CO2-Emissionen von 2019 zu reduzieren. Wir kompensieren alle CO2-Emissionen seit 2010 durch den Kauf von Zertifikaten.

In diesem Jahr haben wir ein internes CO2-Preisprogramm gestartet, das auf Flugreiseemissionen abzielt, um Transparenz zu schaffen und Verhaltensänderungen voranzutreiben. Die gesammelten Mittel werden in hochwertige CO2-Projekte, nachhaltigen Flugkraftstoff und andere grüne Initiativen investiert. Ich selbst bin vor allem Bahnfahrer und finde, dass man in Deutschland mit der Bahn meist mit hohem Komfort reisen und dabei arbeiten kann.

Spielt der Faktor Mobilität bei der Einstellung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Rolle?

Ja. Mobilität betrifft ja nicht nur den Weg zur Arbeit, sondern auch, wie man in seiner Freizeit mobil bleibt – insbesondere für junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein wichtiger Faktor. Wenn wir als Region attraktiv bleiben wollen, muss für die jungen Mitarbeiter z.B. die Taktung des ÖPNV deutlich enger auch in den späten Abend ausgeweitet werden, wie das viele Städte im Ruhrgebiet wie die DSW21 in Dortmund auch aktuell tun.

Ein echter Pluspunkt im nationalen und globalen Standortwettbewerb um Mitarbeiter ist in puncto Freizeit aus meiner Sicht inzwischen das sehr gut ausgebaute Freizeit-Radwegenetz in NRW. So schwer wir uns auch bei der Durchbindung des Radschnellwegs von Düsseldorf und Duisburg bis nach Dortmund durch das Ruhrgebiet seit Jahrzehnten im Vergleich zu beispielsweise unseren niederländischen Nachbarn tun, so einzigartig ist das Freizeit- und Urlaubsnetz in und um die Ruhr-Region inklusive Niederrhein, Münsterland, Sauerland und das Wuppertal. Das könnten wir noch viel stärker bewerben.