Interview:„Digitale Souveranität wird immer wichtiger“

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Interview

Michael Hagedorn Portrait

Michael Hagedorn

CEO von Materna

Im Herzen Dortmunds, in unmittelbarer Nähe zum Signal Iduna Stadion, hat die Materna-Gruppe ihren Hauptsitz. Im Juni 2024 ist der IT-Dienstleister in die neue Konzernzentrale eingezogen. Noch stehen Gerüste hier und da, sind nicht alle Kisten ausgepackt, doch in den Büros herrscht bereits die gewohnte Betriebsamkeit. Michael Hagedorn ist seit 1. Februar 2024 Vorstandsvorsitzender des 1980 gegründeten Familienunternehmens und Persönliches Mitglied im Initiativkreis Ruhr. Wir haben mit ihm über digitale Trends im Allgemeinen und Business Resilience im Besonderen gesprochen.

Herr Hagedorn, Materna wurde 1980 gegründet und feiert dieses Jahr sein 45. Firmenjubiläum. Winfried Materna ist nach wie vor Persönliches Mitglied und war 2006-2010 Co-Moderator im Initiativkreis Ruhr. Das Unternehmen ist in dieser Zeit kontinuierlich gewachsen. Was macht Materna so erfolgreich am Markt?

Ich sehe drei große Erfolgsfaktoren bei uns: Erstens, wir sind ein Familienunternehmen. Das ermöglicht uns, wirtschaftlich nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Außerdem sind wir innovativ, das ist der zweite Faktor. Bei innovativen Trends sind wir zwar nicht so weit, dass wir mit in die Forschung einsteigen, aber wir sehen früh das Potenzial dieser Themen für unsere Kunden, zum Beispiel bei Künstlicher Intelligenz. Der dritte Erfolgsfaktor ist unsere gelebte Teamarbeit. Alle Erfolge feiern wir als Team und das prägt unsere Zusammenarbeit seit Dekaden.

Die Entwicklungen in der digitalen Welt schreiten schnell voran. Auch Cyberangriffe nehmen zu und stellen Unternehmen, Institutionen und Behörden vor immense Herausforderungen. Business Resilience ist da ein Schlüsselbegriff geworden, der auch bei Materna im Fokus steht. Was ist darunter genau zu verstehen?

Es ist ein Sammelbegriff für Themen, die notwendig sind, um sein Geschäft sicher betreiben zu können. Es ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine regelrechte Cyberangriff-Industrie entstanden, die Bedrohungen werden auch durch den Einsatz von KI massiver und intelligenter. Wir haben es in diesem Zusammenhang auch mit dem Thema „Digitale Souveränität“ zu tun.

Was hat es damit auf sich?

In Europa arbeiten wir aktuell intensiv daran, unser Wertesystem in einen gemeinsamen regulatorischen Rahmen zu übertragen. Spätestens seit der Wahl von Donald Trump ist aber klar, dass die Botschaft aus den USA – besonders beim Thema KI – lautet: Wenn ihr unsere Technologien nutzen wollt, müsst ihr euch nach unseren Regularien richten. Daher schauen Unternehmen nach einer Alternative, um Abhängigkeiten zu reduzieren und Unternehmensprozesse nahtlos weiterführen zu können – also resilienter zu werden und die Hoheit über die eigenen Daten zu behalten.

Treffen die Ruhrgebietsunternehmen und -institutionen ausreichende Sicherheitsmaßnahmen, um Ihre Resilienz nach innen und außen zu stärken?

Ja und nein. Sicher sind die getroffenen Maßnahmen bisher noch nicht ausreichend. Es gibt jedoch einige positive Beispiele. So hat die Anny GmbH aus Köln gemeinsam mit STACKIT ein datenschutzkonformes Buchungssystem umgesetzt, welches in der Cloud mit den allerhöchsten Sicherheitsanforderungen bei besonders schutzwürdigen Daten gerecht wird. STACKIT gehört zur Schwarz-Gruppe um LIDL und Kaufland und bietet eine eigene, souveräne Cloud an. Alle Daten bleiben in Deutschland. Das ist ein Alternativangebot zu den US-Clouds, jedoch zeit- und kostenintensiv.

Selbstverständlich kann das nicht die Lösung für jedes Unternehmen sein und es hängt auch ab vom jeweiligen Geschäftsmodell, ob es das überhaupt braucht. Aber wir stehen jetzt an dem Punkt, wo wir – für ganz Deutschland betrachtet – entscheiden müssen, ob wir im digitalen Bereich auf Dauer nur Kunde oder auch Akteur sein wollen. Ich denke, es ist absolut notwendig, Akteur zu sein.

Mit NIS2, der EU-Richtlinie zur IT- und Netzwerksicherheit, gibt es auf EU-Ebene nicht nur neue Regularien im Bereich der bereits bestehenden kritischen Infrastruktur wie der Energie- oder Versicherungswirtschaft, sondern darüber hinaus für fast 30.000 Unternehmen und Einrichtungen, die als „essentiell“ für das Funktionieren eines Landes gelten, darunter eben auch öffentliche Verwaltungseinrichtungen. In dem Zuge werden auch im Ruhrgebiet viele Akteure gezwungen sein, sich spätestens jetzt mit Digitalisierung und Transformation zu beschäftigen und vor allem auch mit den Themen digitale Resilienz und digitale Souveränität.

Wir müssen jetzt entscheiden, ob wir im digitalen Bereich auf Dauer nur Kunde oder auch Akteur sein wollen.

Michael Hagedorn – CEO von Materna

Mit KI-gestützten Überwachungssystemen entwickelt Materna Sicherheitsarchitekturen, die Bedrohungen abwehren, aber auch selbstständig dazulernen. Es muss aber auch Menschen geben, die die Systeme betreuen und monitoren. Wie sind deutsche Unternehmen diesbezüglich aufgestellt?

Unternehmen aus dem digitalen Bereich sorgen sicherlich dafür, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter laufend geschult oder entsprechend eingestellt werden. Wir tun es beispielsweise. Es gehört bereits zum Tagesgeschäft, verantwortungsvoll mit KI-Systemen wie großen Sprachmodellen (LLM) umzugehen. Wir haben in der Materna-Gruppe im letzten Jahr 700 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt. Allein in der Materna SE hatten wir 50 Übernahmen! Wir bieten Ausbildungs- und Traineeprogramme und tun viel dafür, unsere Auszubildenden im Anschluss bei uns zu halten. Der Mensch ist die Schnittstelle zur Künstlichen Intelligenz und muss es aktuell auch bleiben. In vielen Überwachungssystemen, die Bedrohungen abwehren, ist KI bereits ein fester Bestandteil. Materna berät beispielsweise im Bereich der Security Information and Event Management Systeme (SIEM), die KI zur intelligenten Suche über sicherheitsrelevante Ereignisse mittels Assistenten bieten oder sogar umfassende Cyber-Angriffe durch die Erkennung von Beziehungen zwischen Ereignissen identifizieren und visualisieren, um die Reaktionszeit erheblich zu beschleunigen.

Gibt es ein derzeitiges Thema oder einen Trend in der IT, der für die Unternehmen hier in der Region – vielleicht bisher auch nicht genutztes – Potenzial bietet?

Wenn wir über die Schnittstelle zwischen Menschen und KI sprechen, heißt das dazu passende Thema „human x digital“. Die Interaktionen zwischen beiden Welten verändern sich. Künstliche Intelligenz, digitale Souveränität, Business Resilience und eben „human x digital“ sind die derzeit größten Trends in der digitalen Welt. Wichtig ist es, die Trends nicht zu verschlafen, wie es in der Automobilindustrie zum Teil geschehen ist. Dort stehen einige Unternehmen gegenüber den USA und China nun deutlich schlechter da, was nicht nur, aber auch mit den digitalen Fähigkeiten der Automobile zu tun hat. Nehmen Sie das autonome Fahren: Ich war letztes Jahr in Las Vegas. Dort fahren bereits autonome Taxis, ohne Fahrer. Das ist beeindruckend, aber bereits alltäglich. Bei uns redet man noch darüber, ob es jemals Realität werden könnte und sollte.

Zu Ihren Kunden gehören neben Unternehmen vor allem Behörden und Verwaltungseinheiten. Sie begleiten diese im digitalen Transformationsprozess. Haben diese andere Herausforderungen als die Wirtschaft?

Ja, bedingt durch unser föderales System ist das durchaus so. Wir versuchen auch hier mit Plattformen zu arbeiten, auf denen Prozesse benutzerfreundlich automatisiert werden können. Für die Bundesverwaltung haben wir beispielsweise einen großen Teil der Digitalisierung zwischen Behörden und Bürgerinnen und Bürgern übernommen und bauen diese Lösungen dann so auf, dass sie möglichst eigenständig und souverän funktionieren. Wir setzen KI ein, denn wir müssen aufgrund des Fachkräftemangels diejenigen unterstützen, die wissensbasiert arbeiten.

Die Unternehmen sind die eine Seite – wo könnte und sollte die Politik nachjustieren, um den digitalen Transformationsprozess zu beschleunigen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu erhalten?

Für Verwaltung und Behörden braucht es eine föderale Digitalstrategie und nicht 16 für die Länder, eine für den Bund sowie unzählige für die Kommunen, um den Transformationsprozess effizient zu gestalten. Das ist essenziell aus meiner Sicht. Die Wirtschaft wiederum braucht Rahmenbedingungen für eine digitale Souveränität im Bereich Cloud & KI. Wir haben in Deutschland, in NRW und Bayern vor allem, in der KI-Forschung ein gutes Standing im internationalen Vergleich, aber das führt nicht dazu, dass sich viele Startups in dem Bereich gründen und entwickeln. Wenn, dann wandern die Startups meist in die USA ab. Und da muss die Politik überlegen, wie sie die Startups und somit die digitale Innovationskraft hier in Deutschland halten kann. Dann haben wir eine gute Chance, wettbewerbsfähig zu bleiben.

Materna wurde im Ruhrgebiet gegründet und hat bis heute in Dortmund seinen Hauptsitz. Warum war Ihnen diese Standortentscheidung wichtig?

Materna ist ein Unternehmen mit starken Wurzeln – sowohl als Familienunternehmen als auch in der Region. Seit unserer Gründung im Ruhrgebiet sind wir eng mit Dortmund und seiner wirtschaftlichen Entwicklung verbunden. Besonders die Nähe zur exzellenten Hochschullandschaft hat uns geprägt: Schon in den Anfangsjahren haben wir Studierende der TU Dortmund als freie Mitarbeitende eingebunden, und bis heute rekrutieren wir viele unserer Talente aus der Region. Diese enge Verbindung zu den Menschen und Institutionen vor Ort hat unsere Unternehmenskultur mitgeformt. Als es darum ging, einen neuen Standort zu finden, war für uns klar: Wir bleiben in Dortmund. Hier sind unsere Wurzeln, hier ist unser Netzwerk, und hier gestalten wir die digitale Zukunft mit.